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Tafeln an den Ständern:

 

Der Quedlinburger Samenbau - eine illustrierte Geschichte zum Züchterpfad

 

Vorwort1Der als Rundweg angelegte Quedlinburger Züchterpfad führt Sie nach dem Besuch der Zentralinsel am Eingang des Wordgartens zu 10 bedeutenden Standorten der Saatzuchthistorie unserer Stadt.

Quedlinburgs Lage in einer über 1.000 Jahre landwirtschaftlich und gartenbaulich verschiedenartig genutzten Feldflur war ideal für eine sich über die Jahrhunderte entwickelnde Samenzucht. Ausschlaggebend für diese Entwicklung waren vor allem:

  • hervorragende klimatische Bedingungen sowie eine sehr gute Bodenqualität
  • die im Mittelalter erfolgte Entwicklung der Harzregion zu einem Machtzentrum der Sachsenherzöge und frühen deutschen Könige (Pfalz und Königshof)
  • die damit einhergehende Gründung des Stiftes und bedeutender Niederlassungen der Kirche (Wipertikirche, Marienkloster).

Die Herrscher im Mittelalter nutzten die gute Ackerkultur, um ihre Versorgung zu sichern. Das einheimische Saat- und Pflanzgut diente hier als Schlüsselelement. Ebenso spielten die Lage im Regenschatten des Harzes, die Stiftsgärten und deren Gärtner, die veränderte Situation nach dem Dreißigjährigen Krieg sowie die erkämpften Rechte der heimischen Kossäten und Gärtner eine Rolle. Unter diesen sozio-strukturellen Rahmenbedingungen wurden um 1750 die Quedlinburg umgebenden 11.000 Felder mit insges. über 6.000 ha bewirtschaftet. Hinzu kam die Tatsache, dass kleine Bauern in Quedlinburg bereits ab 1772 schrittweise vom preußischen Flurzwang befreit wurden und somit – im Vergleich zu den anderen preußischen Bauern – bereits zwei Generationen eher eigenständig die Fruchtfolge ihrer Felder bestimmen konnten. Hier war es nun alten Familien von Kunstgärtnern möglich, ihre Erfahrungen und Kenntnisse bei der Anzucht von Sämereien einzubringen. Als in Quedlinburg und den übrigen Regionen der Anbau von Zuckerrunkelrüben und anderen neuen Feldfrüchten vorangetrieben wurde, stieg auch das Interesse an dem entsprechenden Saatgut – die Quedlinburger Kunst- und Handelsgärtner konnten dieser erhöhten Nachfrage entsprechen.

Es stellt sich an dieser Stelle die Frage, warum sich gerade in Quedlinburg so rasch und so viele Kunstund Handelsgärtnereien gründeten? Nach Manfred Kummer liegt es vor allem daran, dass es im Quedlinburger Reichsstift „seit Jahrhunderten eine hochentwickelte Gartenkultur gab, die von kenntnisreichen Stiftsgärtnern getragen wurde. (…) Mit dem wirtschaftlichen Niedergang des Reichsstiftes Ende des 18. Jahrhunderts und seiner Auflösung ab 1802 gelangten stiftische Äcker und Gärten in den Besitz heimischer Kunst- und Handelsgärtner. (...) Das aufstrebende Bürgertum übernahm im 19. Jahrhundert den Lebensstil der adligen Oberschicht. Der Bedarf für feine Gemüsearten, Gewürzpflanzen sowie Blumen- und Pflanzenschmuck wuchs. Verbesserte Kommunikation (Zeitungen) und Beförderungsmöglichkeiten (Chausseebau nach Halberstadt um 1840 und Eisenbahnverbindungen ab 1862) ermöglichten den Handel und Versand bei Saat- und Pflanzgut über größere Entfernungen. Der Quedlinburger Bürgermeister Donndorf beobachtete schon 1833 einen regen Postverkehr und Versand bei den Kunst- und Handelsgärtnern.“

Darüber hinaus förderte zu Beginn des 19. Jahrhunderts die sich entwickelnde Zuckerherstellung aus Runkelrüben Quedlinburgs Aufschwung. Besonders die ab 1834 arbeitende Zuckerfabrik Hanewald & Zerbst war Anziehungspunkt für zahlreiche Neugierige, die gleichzeitig vor Ort die Vorzüge des Quedlinburger Saatgutes kennenlernten. Zwischen 1820 und 1840 beschäftigten sich die Unternehmen A. Keilholz, H. Mette, S. L. Ziemann und Martin Grashoff mit der Züchtung und der Saatguterzeugung von Zuckerrunkelrüben. Auch die 1858 beendete Flurbereinigung (Separation) half diesen Samenfirmen, „große Ackerschläge relativ einheitlicher Bodenqualität in günstiger Lage zu schaffen“ (Kummer 2020), zumal Keilholz und Mette im Separations-Ausschuss saßen. Bereits 1867 dienten etwa 5.000 Morgen der Quedlinburger Feldflur dem Zuckerrübensamenbau.

Zuckerrübenzüchtung und -samenhandel erwiesen sich als die hauptsächliche Gewinnquelle für die zehn größten Quedlinburger Samenzüchtereien. Der Einsatz neuer wissenschaftlicher Methoden in den firmeneigenen Laboratorien (z. B. die Polarisation) sowie die revolutionäre Individualauslese mit nachfolgender Nachkommenschaftsprüfung waren dabei entscheidend. Hinzu kam die Einstellung von Wissenschaftlern, wie z. B. Sessous und Kappert als Saatzuchtleiter, die später an deutschen Universitäten und Instituten ihre Karriere als Direktor oder Professor mit internationalem Renommee fortsetzten.

Ab 1900 entwickelte sich Quedlinburg zu einem Wissenschaftsstandort mit zahlreichen wichtigen Kontakten, die auch über 1945 hinaus bestanden. Ein Beispiel dafür ist die Einrichtung einer Züchtungsforschungsabteilung in der Gebr. Dippe AG 1935 (s. Artikel zu Gebr. Dippe und Institut für Pflanzenzüchtung). Um 1930 gab es in Quedlinburg etwa 50 Saatzuchtfirmen. Davon produzierten viele kleinere Firmen Saat- und Pflanzgut im Auftrag der Großzüchtereien. Gegen Ende des II. Weltkrieges waren es nach dem Aufkauf einiger Firmen und der Betriebseinstellung anderer Betriebe noch 23. Damit konnten die großen Unternehmen ein Angebot mit bis zu 5.000 landwirtschaftlichen und gartenbaulichen Sorten in verschiedensten Farben und Formen anbieten. Zahllose Sorten wurden auch, genau wie heute noch, zugekauft und gehandelt. Leitende Firmenvertreter der Gebr. Dippe, Heinrich Mette oder David Sachs waren als Stadtverordnete an der Entwicklung der Stadt beteiligt. Dank ihres Engagements konnte ein städtisches Krankenhaus, das Säuglingsheim der Gebr. Dippe Stiftung sowie zahlreiche neue Kleingartenanlagen oder Betriebswohnungen errichtet werden.

Dampflokomobile, VEG (S) August Bebel, Morgenrot 1957

Vorwort2

Der erste gewaltsame Einschnitt datiert aus dem Jahr 1945, ab dem gewachsene Strukturen in die sozialistisch- zentralistische Wirtschaftsform umgewandelt wurden. Dies führte dazu, dass bekannte Firmen samt ihren Mitarbeitern und dem Zuchtmaterial ihre Heimat in Richtung Westen verließen. So bestimmten seitdem bis 1990 die zentralen DDR-Institutionen wie die DSG, das Institut für Pflanzenzüchtung und die VVB Saat- und Pflanzgut als Zentrale des DDR-Saatgutwesens die Pflanzenzüchtung und Saatgutproduktion.

Kleinere, zunächst noch in Quedlinburg selbstständig weiter arbeitende Saatgutfirmen wurden nach und nach von den staatlichen Organisationen übernommen. So wurde die Firma Teupel 1969 ein Betriebsteil des VEG(S) „August Bebel“ Quedlinburg. Die zwangsweise Verstaatlichung der restlichen mittelständischen Betriebe wie Otto Storbeck oder Hake & Co erfolgte 1972. Lediglich die Inhaber von P. J. Schmidt und A. Grußdorf bewahrten mit großem Stehvermögen weiter die Selbstständigkeit ihrer Privatfirmen. Ungeachtet dessen dominierten nach wie vor Saatzucht und Saatgutwirtschaft mit durchaus beachtlichen Erfolgen bis 1990 Quedlinburgs Wirtschaft. Die durch Saatzuchtfirmen und ihre Eigentümer errichteten Wirtschaftshöfe und Wohngebäude aus den verschiedenen Epochen prägen noch heute das Stadtbild Quedlinburgs und dokumentieren so Wohlstand und Arbeit, welche der Samenbau der Stadt und ihren Bürgern brachte. Infolge des politischen Umbruchs 1990/1991 veränderte sich die Struktur noch einmal sehr zu Ungunsten der einheimischen Saatzucht. Viele arbeitsfähige Einrichtungen wurden geschlossen, Firmen mit den Produktionsflächen auf verschiedenste Weise privatisiert, Absatzmärkte fielen weg. In der Folge verloren Tausende Fachkräfte ihre Anstellung.

Trotz aller Einbrüche und politischen Umwälzungen brachte Quedlinburg kontinuierlich bekannte Pflanzenzüchter hervor, die bis 1945 und dann auch in der DDR hier forschten und lehrten. Dies trug letztlich in den 1990-er Jahren zur Gründung der Bundesanstalt für Züchtungsforschung bei, welche seit 2008 als Julius Kühn-Institut (JKI) auf dem Moorberg die zentrale Forschungsstätte der Pflanzenzüchtung in Deutschland ist. Außer dem JKI bewahren heute noch einige wenige mittelständische, aber durchaus national und international anerkannte Saatgutunternehmen die über 300-jährige erfolgreiche Saatzuchttradition unserer Stadt und Region.

Vorwort3satimex QUEDLINBURG GmbH, Firmenneubau 2002 mit Asternzuchtfeld

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