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Tafel an Grundstücksmauer zum Neuen Weg:
Von der DSG zum VEB - Handelszentrum der DDR für gartenbauliches Saatgut
Der Haupthof der enteigneten Gebr. Dippe AGdiente nach 1945 zwei zentralen Institutionen der späteren DDR. Rechts vom Haupteingang entstand1947 das DSG-Institut für praktische Pflanzenzüchtung(IfP/IfZ) und im linken Teil die 1946 auf BefehlNr. 58 der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) geschaffene DSG.
DSG stand als Abkürzung für „Deutsche Saatzucht-Gesellschaft“. Ihr Arbeitsgebiet umfasste die Sicherung der Saatgutproduktion und den Saatguthandel in der gesamten späteren DDR. Die vier größten enteigneten Saatzuchtbetriebe Quedlinburgs kamen unter die Regie der DSG (DSG I - Gebr. Dippe,DSG II - Heinrich Mette, DSG III - Rudolf Schreiber & Söhne und DSG IV - Halberstadt-Mahndorf).
Insgesamt wurden in der Sowjetischen Besatzungszone bzw. frühen DDR bis 1952/53 auf Grund des o. a. Beschlusses 78 DSG-Handelsbetriebe geschaffen.Sie standen dann unter der Leitung der Hauptverwaltung Saatgut des Ministeriums für Land- undForstwirtschaft der DDR. Der DSG-Betrieb Quedlinburg war insbesondere hinsichtlich Gemüsesamen einer der bedeutendsten.
Im Jahr 1948 war das geschützte „DSG“-Warenzeichen durch die Deutsche Wirtschaftskommission(DWK) der damaligen Ostzone eingeführt wurden. Ihrer Bedeutung gemäß entstand in Ostberlin ein DSG-Außenhandelsbetrieb.
Anfang der 50er Jahre erbrachte eine Reorganisationder DSG die Trennung der Neu- und Erhaltungszüchtung von Handel und Vertrieb. Die herausgelösten Saatzuchthauptgüter wurden erst der Hauptverwaltung Volkseigene Güter des Ministeriums, dann 1958 wie alle anderen staatlichen Saatgutbetriebe der Vereinigung Volkseigener Betriebe Saat- und Pflanzgut (VVB) unterstellt. Diesen Saatzuchthauptgütern bzw. deren Zuchtstationen oblag die Erhaltungszucht einschließlich der Vermehrung der hohen Stufen. In diesem Zuge wurden die Acker- und Zuchtflächen sowie Teile der Speichergebäude der ehemaligen Unternehmen Mette und Schreiber sowie weiterer mittelständischer Betriebe wie Beck, Römer und Sperling in das Saatzuchthauptgut „August Bebel“ überführt. Dieses verfügte über eine eigene Zuchtstation zur Neu- und Erhaltungszüchtung für Gemüse und Zierpflanzen mit 260 ha.Ihr Sitz war bis Anfang der 1970-er Jahre im Gebäude IV des IfP. Nach der Verstaatlichung der FirmaHake & Co. KG zog die Zuchtstation des VEG 1972 Hake & Co. KG zog die Zuchtstation des VEG 1972 in den Oeringer Hof (verschiedene andere Schreibweisen). Die Zentrale des nunmehrigen VEG (S) „August Bebel“ war im Badeborner Weg – ehemaliges Areal der Saatzuchtfirma David Sachs, ab 1938 Rudolf Schreiber & Söhne.
Im DSG-Betrieb Quedlinburg erfolgte schrittweise bis 1972 die Konzentration des gesamten Gemüsesamenhandels der DDR sowie der Organisation der Saatgutproduktion dafür. Er hatte Betriebsteile in Aschersleben, Güstrow, Ostberlin, Dresden und Erfurt auf der Basis der früheren dortigen DSG-Betriebe. Am Ende des Zentralisierungsprozesses erfolgte1972 im Rahmen einer nochmaligen umfassenden Reorganisation der Saatgutwirtschaft und Züchtung der DDR die Umbenennung des Quedlinburger DSG-Betriebs in „VEB Saat- und Pflanzgut – gartenbauliche Kulturpflanzenarten – Quedlinburg“ mit dem von allen Betrieben des Wirtschaftszweiges geführten neuen Warenzeichen “VSB“ – „Vereinigte Saatgutbetriebe“. Diese erfolgte zeitgleich mit der Umbenennung des IfP zum Institut für Züchtungsforschung(IfZ).
Von Erfurt aus wurden der Handel und die Produktion von Blumensamen organisiert. Dort war auch das Versandhaus für die Kleingärtner der DDR angesiedelt. Beide Betriebe arbeiteten eng unter dem Dach der VVB Saat- und Pflanzgut zusammen. Der VEB Saat- und Pflanzgut Quedlinburg war dabei der „Erzeugnisgruppenleitbetrieb“ für gartenbauliches Saatgut.
Während an der Straßenseite zur Ethel-und-Julius-Rosenberg-Str. (bis 1991, dann wieder Neuer Weg) der Verwaltungstrakt des Betriebes lag, wurden die vielen Speichergebäude des Hofes für die Saatgutlagerung, u. a. der DDR-Staatsreserve sowie für die Zusammenstellung der Aufträge für die Erwerbsgärtner und Wiederverkäufer (Samenfachhandel) genutzt. Die Saatgutreinigung sowie Auslieferung der Exporte und auch Großaufträge erfolgte im bzw. vom „Aufbauhof“ am Gernröder Weg (s. u. Mettehof) und später auch vom neuen Saatgutaufbereitungswerk im Neinstedter Feldweg.
Hinter der langen Front entlang der Seilergasse entstand die Saatgutabfüllung, wo jährlich an die 100 Millionen Tüten Gemüsesamen für den Verkauf an Kleingärtner produziert wurden. Weitere bis zu 60 Millionen Packungen mit Blumen-, Kräuter- und Futterpflanzensamen für das „Bunte-Tüten-Programm“ wurden in Erfurt abgefüllt und kamen von dort in den Handel.
Auf Grund der hohen Bedeutung der Versorgungssicherheit mit Saatgut für die DDR gab es im Betrieb eine eigene Berufsfeuerwehr und zusätzlich zu deren Unterstützung eine gemeinsame Freiwillige Feuerwehr (FFW) von Institut und VEB.
Bis zur Auflösung des Betriebes blieb der VEB die Zentrale für den nationalen und internationalen Handel der DDR mit gartenbaulichem Saat- und Pflanzgut. Regelmäßig erschienen Kataloge und Preisverzeichnisse für die Erwerbsgärtner und den Export. So war der Weg über den VEB Saat- und Pflanzgut für die private Saatzuchtfirma A. Grußdorf die einzige Möglichkeit, kleine Lieferungen spezieller Sorten an ein befreundetes Eschweger Unternehmen in Westdeutschland zu versenden.
Der VEB versuchte 1990-92, nach der entsprechend der Treuhand-Direktiven vollzogenen Umwandlung, die Entwicklung als Quedlinburger Saatgut GmbH fortzusetzen. Die Gesellschaft entstand aus dem Zusammenschluss der verbliebenen Mitarbeiter ,Immobilien und Saatgutbestände des VEB, derZuchtstation des VEG und Teilen der Gemüsezüchtung des geschlossenen IfZ.
Der Verkauf durch die Treuhand an die Schweizer Samen Mauser AG Winterthur setzte 1992 den Schlusspunkt unter die Geschichte von DSG und VEB.
Die privaten Nachfolgefirmen nutzten Teile derGebäudetrakte noch bis Anfang 2009 vor allem für Dienstleistungen zur Saatgutabfüllung. Nach deren Auszug verstummte das laut klackende Geräusch aus dem Speicherinneren für immer, welches vielen älteren Quedlinburgern vertraut gewesen sein dürfte.
Heute erinnert noch das Markenzeichen „Quedlinburger Saatgut“ auf den Samentüten einer Ascherslebener Firma an die Jahrhunderte andauernde Tradition; das Saatgut allerdings kommt heute meist nicht mehr aus Quedlinburg.