Gertrud Schmidt - eine Quedlinburgerin leitet die Saatzuchtfirma in den schwierigen Kriegsjahren 1943-1945
P.J. Schmidt war ein kleines, mittelständisches Unternehmen, das Gemüse- und Blumensamen für Deutschland produzierte und handelte. Die Firma war in der Weberstraße ansässig und bewirtschaftete verschiedene Felder rund um Quedlinburg, u.a. am Liebfrauenberg. Mit diesem Beitrag soll die tapfere Frau, Gertrud Schmidt, gewürdigt werden, die im 2. Weltkrieg und auch danach die Leitung der Firma bis zur Wiederkehr ihres Mannes übernehmen musste. Unter welchen Bedingungen und Herausforderungen sie das bewerkstelligte, belegen historische Dokumente der Saatzuchtfirma P.J. Schmidt, unter denen ich eine gebündelte, beschädigte Mappe aus dem Kriegsjahr 1943 vom „Schriftverkehr, Briefe N-Z vom 1.1.43 bis 31.12.43“ fand.
Schon beim Stöbern in den Post- und Bestellkarten, amtlichen Schreiben und Briefen an und von Behörden merkt man, dass der „Endsieg“ nur noch Propaganda war. Kontingentierung, verwaltete Mangelwirtschaft und teilweise offene Verzweiflung sind erkennbar und werden nicht bemäntelt. Frau Gertrud Schmidt, geb. Buchmann (1906 bis 2006) musste nach der Einberufung ihres Ehemanns Paul Johannes (38 Jahre) allein zurechtkommen. Auszüge aus unterschiedlichen Briefen und Postkarten sollen die damalige, schwierige Situation belegen. Schlussfolgerungen kann der Leser selber ziehen.
Bereits Anfang 1943 ist die Versorgungslage angespannt: Im Brief vom 16.1.43 an Heinrich Post, Samenhandlung Eifa in Hessen, teilt P.J. Schmidt mit: „...wenn das so weiter geht, werde ich noch nicht einmal in der Lage sein, den kleinsten Auftrag zu erledigen. ...Allerdings wird es sich nur um kleine Mengen handeln.“
Ein weiterer Brief vom 6.2.43 an einen Kunden: „Wir haben jetzt unsere Zuteilungen erhalten und diese sind derart gering, dass wir jeden alten Kunden nur 20 % seines vorjährigen Bezuges liefern können. Neue Kunden können daher leider gar nicht berücksichtigt werden.“
Ein Schreiben aus Alzenau, Mainfr.,12.3.43: „Wie sie mir mitteilten, sollte ich Sie nochmals an meinen Auftrag erinnern und hoffe ich dadurch ganz bestimmt, daß Sie mir doch auch eine Zuteilung machen.“
Wilhelm Schönen, Baumschule Samenhandlung, Rheydt=Giesenkirchen, schreibt am 16.3.43: „Ihre Karte habe ich erhalten und teile Ihnen mit, daß ich kein Lot Samen mehr im Hause habe, ich bin der einzigste Verkäufer am Ort. Der andere ist eingezogen. Schicken Sie mir doch umgehend was in Ihren Kräften steht. Sie glauben nicht wie ich von den Leuten überlaufen werde.“
Der Oberpräsident des Landes-Ernährungsamt Sachsen-Anhalt Halle (Saale) am 27. Februar 1943 an Frau Schmidt: „Es war ihnen schon seit vorigem Jahr bekannt, daß Sie mit der Einberufung rechnen müssen. Ich habe nicht die Absicht, den Wehrbezirkskommandeur nunmehr noch um eine andere Entscheidung zu bitten.“
17. April 1943. Um den Mitarbeiter Heinrich Winter (?) als Kraft für den Betrieb zu erhalten, wird ein UK Antrag benötigt. (UK = Unabkömmlichkeit). Deswegen schrieb Frau Schmidt dann am 6.7.1943 an die Reichsfachschaft der Samenkaufleute in Berlin-Charlottenburg; „…und ich muß als seine Ehefrau (ohne jegliche Fachkenntnisse) den Betrieb weiterführen. Es handelt sich also um ein kriegswichtiges Unternehmen...nur ein eine einzige männl. deutsche Arbeitskraft... und zwar bekam er Mittwochs Bescheid und mußte am Sonntag bereits Soldat sein.“ Es ist bekannt, dass zu dieser Zeit im Haushalt „Noch ein kleiner Junge(n) (6 Jahre alt).“ ist. Dies ist Sohn Gerhard Schmidt.
Am 28.4.43 bittet Frau Schmidt um die Bewilligung eines Fahrrades: „…ich führe das Geschäft mit einer Angestellten und einem Lehrling. Da ich außerdem noch 70 Morgen Acker zu bewirtschaften habe und mich ...um alles kümmern muß, kann ich nicht jeden Weg zu Fuß machen.“
Nur der Einsatz von Zwangsarbeiterinnen, (so genannten Ostarbeiterinnen) ersetzte die notwendigen Arbeitskräfte.
19.5.43, Frau Schmidt an Wirtschaftsamt Quedlinburg: „Bitte um Bezugsschein für 4 Kochtöpfe,1 Waschtopf, 1 Waschschüssel, 2 Wassereimer, 10 Essschüsseln und vier weitere größere Schüsseln.“
Der Quedlinburger Oberbürgermeister Karl Selig als Ortspolizeibehörde schreibt am 26.5.1943: Zur ausländerpolizeilichen Erfassung und Fingerabdrucknahme haben die bei Ihnen beschäftigten umstehend aufgeführten Ostarbeiter am 1.6.43 in der Verwaltungspolizei, Grünhagenhaus, Zi 17 zu erscheinen. Rückseite: 1. Wera Fuzuk, 2. Lena Samara, 3 .Maria Neschetta, 4. Lida Prichodka.“
Am selben Tag schreibt der Oberbürgermeister als Ortspolizeibehörde: „In Ihrem Betrieb beschäftigen Sie 4 sowjetrussische Zivilarbeiterinnen. ...Sie sind dafür verantwortlich, daß die bei Ihnen beschäftigten Arbeiterinnen außerhalb der zugewiesenen Tätigkeit nicht mit der deutschen Bevölkerung zusammentreffen. Die Ostarbeiterinnen haben sich beim Verlassen des Lagers (Heinrichplatz, d. A.) und bei der Rückkehr stets beim Lageraufseher zu melden. Die Arbeitskräfte haben auf der rechten Brustseite eines jeden Kleidungsstückes auf blauen Grund Schrift „Ost“.
8. Juni 1943, Weberstr. 42, „Antrag auf Zuteilung von Zulagekarten für Langwege und Nachtarbeiter, insgesamt beschäftigt 9 Ausländer und ein Deutscher“
Am 22. Juni 1943 schreibt der Oberbürgermeister als Ortspolizeibehörde an Herrn P.J. Schmidt, Samenbau: „Den Erfordernissen des totalen Krieges muß in vollem Umfang und rücksichtslos Rechnung getragen werden und infolgedessen auch eine weitere Einschränkung im Kfz Verkehr vorgenommen werden. Unter dem Gesichtspunkt des totalen Krieges kann ich ... ein öffentliches Interesse an der Weiterbenutzung Ihres unter Kennzeichen IM-210918 ...weiter nicht erkennen. Ab dem 30.06.43 wird die Genehmigung …zurückgenommen.“
„Am 7. Juli, 20 Uhr ist im Prinz Heinrich Versammlung sämtlicher Anbauer von Hafer, Gerste und Kartoffeln. ...ist die Teilnahme an der Versammlung für jeden Anbauer unerläßlich. gez. Ebert Ortsbauernführer“
Am 5. Mai 1943 erhält Herr Paul Schmidt, Weberstraße 26, das jährliche Formular zur Bodenbenutzungserhebung 1943. Er ist aber bereits seit dem 25.02.43 Soldat! Das seine Frau den Betrieb führt, interessiert in der frauenfeindlichen Nazizeit keinen.
Leop. Wallmann, Nachfolger Papiergroßhandlung in Quedlinburg, bittet am 1. Juni 1943 „eine Erklärung ab(zu)geben, damit“ Wallmann durch Wiederbeschaffung der Pappen (nötig für Lieferungen) weiter produzieren kann. Der Brief vom Reichsverband der Pflanzenzucht (28.9.43).: „Den eingesandten Zuteilungsbescheid erhalten Sie in der Anlage zurück. ...dürfen PZT-Gewebesäcke für Saatgut nicht mehr abgeben werden. An Stelle von PZT-Gewebe wird daher Reinpapiergewebe PT 700 geliefert.“ Fa. Schmidt erhält den Zuteilungsbescheid zum Bezuge von 200 Säcken (!) der Qualität P.T-700 vom Reichsverband der Pflanzenzucht“ (13.10.43).
Am 1. Oktober 1942 wird ein „Reichsnährstand Einheitsvertrag für Pachtgrundstücke zwischen P.J. Schmidt und Herrn Franz Tettenborn, Blankenburg Harz zu (einem) Ackerstück über den Sandkuhlen über 80,4 Morgen“ abgeschlossen.
Die Einladung der Ortsfachgruppe Quedlinburg im Reichsnährstand Abteilung Gartenbau zur Monatsversammlung durch den Ortsfachwart kommt am 30. November 1943: „Thema Behandlung und Pflege von Aussaaten, Überwinterung von Gemüse“.
Eine Kundenkarte aus Gomau Main, 7.12.43: „Melde mich für die kommende Saison etwas eher bei Ihnen, damit bei Ihrer Verteilung nicht wieder zu spät komme. Sonst immer zufriedener Kunde m.d.G.“
Bis zu ihrem Lebensende lebte Gertrud Schmidt in ihrer kleinen Wohnung im ersten Stock des Betriebsgebäudes im Weinbergweg. Dort befanden sich auch Flächen für Züchtung und Vermehrung. Nach dem Tod ihres Ehemanns wurde der Betrieb vom Sohn Gerhard bis 2015 fortgeführt.
Gertrud und Paul Johannes Schmidt
Gertrud Schmidt und Sohn Gerhard
Fotos: Stephanie Schmidt