Als Martin Grashoff am 19. Dezember 1796 in Quedlinburg als Sohn einer armen Gemüsegärtnerfamilie (1) geboren wurde, ließ sich nicht erahnen, dass dieser nicht gerade privilegierte Mann im 2. Viertel des 19. Jahrhunderts das renommierteste Samenbau- und Handelsgeschäft Quedlinburgs aufbauen würde. Trotz schlechter Ausgangsbedingungen halfen ihm seine Begeisterung für den Samenbau, verbunden mit lebenslangem Lerneifer, sein unternehmerisches Geschick und wohl auch die Gunst der Stunde. Obwohl einer jüngeren Generation hiesiger Samenbauer angehörend, schuf Grashoff eine Samenbauhandlung, die er zu Recht das „Älteste Haus Quedlinburgs in dieser Branche“ nannte. Dieser Untertitel stand fortan auf vielen seiner Preisverzeichnisse und -kataloge. Über Grashoffs Leben und Wirken sind wir vergleichsweise gut durch seinen Freund, den Botaniker und Vorsitzenden des Vereins zur Förderung des Gartenbaues in Preußen, Prof. Dr. Karl Koch (1809-1879), unterrichtet. (2)
Was bereits Bürgermeister Joh. August Donndorff auffiel
Im 2. Viertel des 19. Jahrhunderts trugen die verbesserten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen im Norddeutschen Bund zu einem bisher nicht gekannten Aufschwung im Samenhandel bei. Seit dem 1838 erfolgten Anschluss der Hannoverschen und Braunschweigischen Landesteile im Unterharz an den preußischen Zollverband hatte sich der Handelsverkehr gesteigert. Und dieser nahm mit dem Bau der Kunststraße von Gernrode über Quedlinburg und Kroppenstedt nach Magdeburg weiter zu. Eine wesentliche Verbesserung erfolgte 1843 mit der Inbetriebnahme der Eisenbahnlinie von Halberstadt nach Magdeburg. Nun galt es, die in einem ziemlich schlechten Zustand befindliche Alte Poststraße von Quedlinburg nach Halberstadt durch eine neue Chaussee zu ersetzen. (3) Schon zu Beginn der 1830er Jahre war dem Quedlinburger Bürgermeister Joh. August Donndorff der gestiegene Postverkehr bei den Kunst- und Handelsgärtnern deutlich aufgefallen. (4) Auf einen ziemlich lebhaften Handel mit Getreide, Öl und Sämereien in Quedlinburg verweist auch das Handbuch des Regierungsbezirkes Magdeburg von 1842.
Kindheit und Jugend
Nach KOCH ernährten sich Grashoffs Eltern kümmerlich von dem wenigen Gemüse, das sie auf dem Markt in Quedlinburg verkauften. Der Junge musste ihnen zeitig beim Gemüseanbau helfen. Gleichwohl sollte ihm der elterliche Garten bald zu klein gewesen sein, so dass der Vater noch einige Parzellen dazu pachtete, im Ganzen kaum fünf Morgen. Unter diesen Verhältnissen erhielt er nur eine geringe Schulbildung. Die Eltern scheinen bald gestorben zu sein – mutmaßte Karl Koch – oder der „überaus tätige und umsichtige Sohn“ wurde früh selbstständig.
Grundstein für den Samenbau
Spätestens Anfang der 1820er Jahre wagte der Mittzwanziger einen Neuanfang. Er pachtete 3 ½ Morgen – einen Teil seines späteren Gartens mit einem „Häuschen“ – in der Quedlinburger Vorstadt Westendorf. Der östlich vom Stiftsberg gelegene Garten lag günstig am Mühlgraben. Erschlossen wurde das Grundstück von einer von der Langen Gasse abgehenden Sackgasse, an deren Ende das mit eigener Hausnummer versehene Gartenhaus lag: Quedlinburger nannten es daher „Im Sack“ oder „Grashoff im Sack“. Damit legte er den Grundstein zu dem „jetzigen großartigen Etablissement (5) (Abb. 1 ).
Hier begann Martin Grashoff abermals mit dem Gemüseanbau. Zunächst bearbeitete er den Garten mit Hilfe seiner Frau allein. Im Jahr 1821 hatten sie geheiratet. Seine Frau, eine gebürtige Sachtleben, wuchs als Stiefschwester mit Andreas Christian Sperling (1798-1863) und dessen Geschwistern im angestammten Hof der Familie „Vor dem Viehtor“ auf. Mit dem auch im Samenanbau erfahrenen „Ökonomen“ (Landwirt) Sperling bestehen somit zur 1788 gegründeten Saatzuchtfirma „Sam. Lor. Ziemann“ verwandtschaftliche Beziehungen. Ältere Leute hatten Koch erzählt, dass Martin Grashoff selbst an den Wochenmärkten das Gemüse auf dem Karren zu der Verkaufsstelle seiner Frau brachte. Die eigenen Kräfte reichten bald nicht mehr aus, so dass er gelegentlich Tagelöhner einstellen musste. Später wurden Kühe und schließlich auch Pferde angeschafft, die er selbst versorgte. Keine und selbst die härteste Arbeit nicht scheuend, erwarb Martin Grashoff sich von Jahr zu Jahr etwas dazu, mit dem er das Geschäft vergrößerte. Bald konnten sie das Häuschen mit dem Garten kaufen.(6)
Aufbau einer Samenbauhandlung mit eigenem Profil
Der Gemüsebau befriedigte Martin Grashoff bald nicht mehr, da er die größere Rentabilität im Samenanbau mehr und mehr erkannte. Einen exzellenten Lehrherrn dürfte er in seinem Gartennachbarn Gottlieb Rögner gefunden haben. Dieser stammte aus einer Propsteigärtnerfamilie und hatte 1811 den vom Orden der Westfälischen Krone ausgeschriebenen Stiftsgarten mit Inventar für 1600 Goldtaler erworben. Schon damals war jener längere Zeit im Samenbau und -handel tätig gewesen, sodass er bereits 1811 „alle möglichen Arten von in- und ausländischen Garten-Sämereien deutschlandweit anbot, sowohl in großen Partien, als auch im kleinen Verkauf“. (7) Seine Lieferkontrakte reichten bis in die nordischen Länder und nach Russland. Im Frühjahr 1825 bot nun auch Martin Grashoff im deutschlandweiten „Allgemeinen Anzeiger“ seine frischen echten in- und ausländischen Feld- und Gartensamen an, darunter besonders gute Turnipskerne (zuckerhaltige Runkelrübensaat) bei zügiger und „reeller“ (redlich, zuverlässig) Bedienung.
Seine Preisverzeichnisse versprach er jedermann zu schicken, der ihm einen frankierten Brief einsende. Anfangs verkaufte Martin Grashoff seine Samenernte an Samenhändler in Braunschweig. „Doch schon bald erkannte er die Vortheile eines direkten Samen-Verkaufes.“ (8) Um sich weiter sachkundig zu machen, reiste er nach Lübeck, wo der nicht unbeträchtliche Handel mit den skandinavischen Ländern abgewickelt wurde. Daraufhin entschied sich Grashoff, seine Samen-Ernten mit einigem Zukauf von Kleinerzeugern selbst zu vermarkten. In naher Zukunft strebte er mehr und mehr direkte Verträge mit größeren Abnehmern an: größere Rübenanbauer oder Eigentümer von Zuckerfabriken. Kurz gesagt, Grashoff schuf sich auf diesem Wege ein eigenes Handels-Geschäft. Oder, wie Karl Koch äußerte: „Damit war der Weg zu seinem grossartigen Samenbau eröffnet.“(9) Und so löst sich auch der eingangs genannte und rätselhaft anmutende Werbespruch, „Ältestes Haus Quedlinburgs in dieser Branche“ (Abb. 2) zu sein, auf.
Infolgedessen wandte sich Grashoff bei der Neuauflage seines Samenkataloges für 1835 besonders an die mit ihm noch nicht in Verbindung stehenden Zichorien- und Runkelrüben-Zuckerfabriken oder sonstige Großabnehmer mit der Bitte, ihre Bestellung möglichst frühzeitig einzusenden. Dafür gewährte er einen Preisnachlass. Er konnte dadurch besser planen und den Acker rechtzeitig vorbereiten lassen. Im Übrigen verwies er auf seinen „durch die lokalen Verhältnisse begünstigten Selbst-Samenbau, den er seit einer Reihe von Jahren betrieb und auf eine gewisse Stufe der Vollkommenheit“ gebracht hatte. Aufgrund der zu erwartenden Konjunktur des weißen Zuckerrübensamens sei es anzunehmen, dass der Bedarf diesmal größer als jemals sein werde. (9) (Abb. 3 und 4)
Sein Angebot von 1836 umfasste Gemüse-, Feld-, Garten-, Wald- und Blumen-Samen, darunter ein Sortiment gefüllter Georgien (Dahlien), dazu Kartoffeln, Weine und noch andere Pflanzen. Martin Grashoff kaufte nach und nach ein Stück Land nach dem anderen auf, auch Gärten in oder in der Nähe Quedlinburgs. Das benachbarte Grundstück „Im Sack“ (Nr.11) dürfte, wenn nicht schon in den 1830er, spätestens in den 1840er Jahren in den Besitz von Martin Grashoff gekommen sein. Er war nicht allein, auch die Söhne anderer Gärtner Quedlinburgs wetteiferten mit ihm im gleichen Streben und mit gleichem Glück. Im Jahr 1843 betrieben außer ihm die Kunst- und Handelsgärtner Heinrich Mette, Samuel Lorenz Ziemann und A. Keilholz einen sehr einträglichen und umfangreichen Handel mit Sämereien nach dem benachbarten In- und Ausland (Preußen, Anhalt, Braunschweig, Hannover). Zusammen beschäftigten sie mehrere hundert Menschen. Der Wert der versendeten Sämereien betrug zu jener Zeit jährlich etwa 50.000 Taler.(10) Als vorerst Letzter kam der Samenzüchter und -händler A. Gebhardt hinzu, vorher Geselle bei Grashoff. Auch ein Sohn von Georg Christian Hanewald war weiter im Rübensamengeschäft tätig. Kunst- und Handelsgärtner war zu jener Zeit auch Heinrich Bosse, der Schwiegersohn von Gottlieb Rögner im Propsteigarten. Nach dessen frühen Tod, Ende der 1840er Jahre, dürfte der Propsteigarten in den Besitz von Martin Grashoff gekommen sein.
In den 1840er Jahren hatte Grashoff schon den Junkernhof in Westerhausen mit 150 Morgen Acker gepachtet und dort einen Inspektor eingesetzt. Das ganze Haus soll oft nach Thymian, Sellerie und anderen Suppenkräutern gerochen haben. Grashoff kam mit seiner mit Schimmeln bespannten Kutsche oft und gern nach Westerhausen. Am liebsten verkehrte er mit Christian Vorbrodt, der ebenfalls Samenbau betrieb.(11) Im Jahre 1848 starb seine Frau, mit der er über 27 Jahre beharrlich zusammenarbeitet hatte. Sie hatte ihn redlich die ganze Zeit in Allem, was er tat, unterstützt und viel zum Aufschwung des Geschäftes beigetragen (KOCH). Seine Ehe blieb kinderlos.
Schlussbemerkung
Der wirtschaftliche Erfolg Martin Grashoffs im Gemüse- und Zuckerrüben-Samenanbau und -handel dürfte vor allem darin bestanden haben, dass er, wie schon aufgezeigt, als Erster im größeren Stil ein eigenes Samenbau- und Handelsgeschäft gründete, auf die feldmäßige Samengewinnung im Großen setzte, und daher möglichst frühzeitig um Bestellungen der Großabnehmer bat. So konnte er im Voraus planen. Was er selbst nicht liefern konnte, darüber schloss er mit speziell eingewiesenen Quedlinburger Landwirten (Samenkultivatoren) Anbauverträge ab. Martin Grashoff wird Im Illustrierten Gartenbau-Lexikon von 1890 als der „eigentliche Gründer der großartigen Samenkulturen und des Welthandels Quedlinburgs“ bei Sämereien genannt.
Abb. 1: C.C. Voigt, Grundriss der Stadt Quedlinburg von 1782. Ausschnitt mit M. Grashoffs ursprünglich erworbenem Garten (Pfeil) und dem zugehörigen Gartenhaus (Quadrat mit Punkt). Nr. 23 ist heute Lange Gasse 11. Nr. 43 ist heute Lange Gasse 12, daneben das ehemalige Propstei-Vorwerk Nr. 24
Abb. 2: Leuchs Adressbuch von 1872 mit Anzeige der Samenbauhandlung von Martin Grashoff
Abb. 3: Grashoffs Samensendung vom 16.10.1847 von Quedlinburg an eine Zuckerfabrik in oder bei Prag
Abb. 4: Offerte von Martin Grashoff, datiert am 16.10.1847, für das Folgejahr
Referenzen
1 Illustriertes Gartenbau-Lexikon, 3. neubearbeitete Auflage, Berlin 1902, S. 344-345.
2 Karl Koch: Martin Jakob Grashoff-Eine biografische Skizze. Wochenschrift für Gärtnerei und Pflanzenkunde. Nr.47/1866.
3 Handbuch vom Regierungsbezirk Magdeburg, 2. Teil, 1842.
4 Chroniken der Stadt Quedlinburg vom Bürgermeister Joh. August Donndorff aus den Jahren 1800 bis 1832.
5 Wie Anm. 2, 1865.
6 Wie Anm. 2.
7 Allgemeiner Anzeiger der Deutschen. Nr. 352/1811.
8 Wie Anm. 2.
9 Wie Anm. 2.
10 Samenverzeichnis 1835.
11 Wie Anm. 3.